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FROM SELF DETERMINATION TO NATO IN YUGOSLAVIA
- Date: Mon, 19 Apr 1999 16:06:05 -0400 (EDT)
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-------- Forwarded message ----------
Date: Mon, 29 Mar 1999 02:53:44 +0100
From: Hannes Hofbauer <H.HOFBAUER@SIGNALE.comlink.apc.org>
To: agfrank@chass.utoronto.ca
Subject: YU-Hofbauer
Vom Recht auf Selbstbestimmung zum NATO-Bombardement:
Wie Jugoslawien zerstoert wurde
Von Hannes Hofbauer
Der 24. Maerz 1999 markiert das Ende der europaeischen Nachkriegszeit. In einem
beispiellosen Akt militaerischer Aggression haben die 19 NATO-Staaten unter der
Fuehrung der USA den Krieg nach Jugoslawien getragen. Erstmals seit 1945 ist
damit ein souveraener europaeischer Staat angegriffen worden. Die
nordatlantische Allianz, die sich wenige Tage zuvor bis an die weissrussische
Grenze und in die Pussta hinein ausdehnen konnte, hat damit einen
voelkerrechtlichen Praezedenzfall geschaffen. Die Spielregeln internationaler
Politik sind ausser Kraft gesetzt. Mit ihrer Militarisierung tritt sie in eine
neue Phase.
Die westliche Wertegemeinschaft hat den Angriff auf Jugoslawien mit der
Missachtung von Menschenrechten im Kosovo argumentiert. Der Bombenterror aus
Kampfflugzeugen im Dienste der Menschenrechte stellt allerdings dieses
Bekenntnis in die Tradition des universalistischen abendlaendischen
Machtanspruchs, der vom grossen Schisma ueber die Kreuzzuegen bis zum Kampf
gegen den Bolschewismus tausend Jahre lang eine blutige Spur durch Europa
gezogen hat. Die Geschichte Jugoslawiens seit dem Verschwinden Moskaus von der
geopolitischen Landkarte bietet ein schauriges Lehrstueck westlicher
Allmachtsphantasien. Den Preis dafuer koennte schliesslich Europa als Ganzes
bezahlen.
Blenden wir zurueck ins Jahr 1989. Am 28. Juni versammeln sich auf dem
Kosovo polje, dem Amselfeld, eine Million Serben aus aller Welt, um der
verheerendsten Niederlage in der serbischen Geschichte zu gedenken. Auf den Tag
genau vor 600 Jahren war das von Fuerst Lazar gefuehrte christliche Heer nahe
Pristina von den Osmanen unter Sultan Murad I. vernichtend geschlagen worden.
Slobodan Milosevic, der mit grossem Pomp per Helikopter auf die Buehne geflogen
wird, nuetzt diesen historischen Gedenktag, um seiner Partei und seiner Person
eine nationale, grossserbische Aura anstelle der in weiten Kreisen
diskreditierten jugoslawisch-kommunistischen Identitaet zu verpassen. Die
Kontinuitaet der Macht in Belgrad schien damit gesichert.
Auf kosovarischer Seite waren schon seit dem Tode Titos im Jahre 1980
die Stimmen lauter geworden, die sich mit der 1974 zugestandenen weitgehenden
Autonomie nicht mehr zufrieden geben wollten. Sie forderten die Errichtung
einer "Kosovo-Republik". Fruehlingsdemonstrationen albanischstaemmiger
Studenten in Pristina beendete die jugoslawische Polizei am 1. und 2. April
1981 mit brutaler Gewalt. In den Strassen der kosovarischen Hauptstadt blieben
damals nach offiziellen Angaben elf Tote zurueck, die albanische Seite sprach
von 200 getoeteten Demonstranten. Eine bis dahin im Kosovo nicht gekannte
Radikalisierung setzte ein. Im Herbst 1988 wurden schliesslich der Parteichef
der albanischen Kommunisten im Kosovo, Azem Vllasi, sowie seine
Stellvertreterin Kaqusha Jashari abgesetzt und bald darauf verhaftet. Die
Verfassungsaenderung vom 28. Maerz 1989 schloss das - historisch gesehen -
kurze Autonomiekapitel des Kosovo. Das Parlament in Belgrad erklaerte feierlich
die Rueckgabe der staatlichen Souveraenitaet an Serbien. Ein Buergerkrieg nahm
seinen Lauf.
Politische Provokationen kosovo-albanischer Fuehrer, die seit langem
ausschliesslich national argumentierten, verschaerften den Konflikt. Im Juli
1990 wurde die Unabhaengigkeit des Kosovo ausgerufen, was im Gegenzug die
endgueltige Aufloesung des Parlaments in Pristina zur Folge hatte. Am 18.
Oktober 1991 riefen die von Belgrad laengst abgesetzten albanischen
Abgeordneten eine unabhaengige "Republik Kosovo" aus, die bis heute von keinem
Land der Welt anerkannt worden ist. Die selbstorganisierten und ohne legale
Grundlage abgehaltenen Praesidentenwahlen im Mai 1992 machten den
Schriftsteller Ibrahim Rugova zu einem Fuehrer ohne Land. Alle jugoslawischen
Einrichtungen werden seither von der albanischen Bevoelkerungsmehrheit im
Kosovo boykotiert. Belgrad verschaerfte zwar die Repression in der Provinz,
griff jedoch Ibrahim Rugova, der bereits damals unter dem Schutz des Westens
stand, nicht an. Im Jahre 1993 formierte sich eine bewaffnete albanische
Untergrundbewegung, die UCK, die von Anbeginn ihrer Taetigkeit Polizeistationen
und militaerische Einrichtungen im Kosovo im Visier hatte.
Die oekonomische Krise
"Schuld an der ganzen Misere sind die KommunistenË, lautete das einfach
gestrickte Argument der Jahre 1989/90, das die wirtschafltiche Misere erklaeren
wollte, in die Jugoslawien - wie andere Staaten in Europa auch - geraten war.
Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs lagen tatsaechlich schon lange
zurueck. Bis Mitte der 60er Jahre galt Jugoslawien als Vorbild an
sozialistischer Effizienz, das Bruttonationalprodukt wuchs jaehrlich um 6% bis
7%. Mit Hilfe fetter US-Kredite aus den 50ern, die Jugoslawien aus dem
Bannkreis Moskaus fernhalten sollten, wusste die Fuehrung um Josip Broz Tito
anfangs noch, sinnvolle Projekte zu entwickeln. Die ersten Krisenerscheinungen
machten sich Ende der 60er Jahre bemerkbar. Frueher als alle anderen Laender in
Osteuropa hatte man Westkredite erhalten, frueher als alle anderen mussten sie
zurueckgezahlt werden. Bereits 1965 wurde im Zuge allgemeiner Dezentralisierung
die sogenannte "nationale Oekonomie" auf Republiksebene eingefuehrt, neun Jahre
spaeter kam es zu einer neuen jugoslawischen Verfassung, die der Zentrale nur
noch wenige koordinative oekonomische Funktionen beliess. Die Verantwortlichen
glaubten vorerst, mit der Foederalisierung einen machtpolitischen Balanceakt
zustandegebracht zu haben. In Wahrheit wurde damit ein entscheidende Schritte
in Richtung Desintegration gesetzt. Besonders negative Auswirkungen hatte diese
Entwicklung auf den Aussenhandel, der ohne gemeinsames Konzept foederalisiert
wurde. 1979 muendete diese Politik in eine wirtschaftliche Stagnation. Die
Rueckzahlung auslaendischer Kredite geriet ins Stocken.
Vorerst noch ueberschaubar, wuchs der Schuldenberg bis Anfang 1991 auf
16 Mrd. Dollar an, um bis zum Zerfall des Landes 21 Mrd. Dollar zu betragen.
Sieben Mrd. Dollar erhielt Belgrad allein zwischen 1985 und 1991; 23 Mrd.
flossen im selben Zeitraum ab - an Zinszahlungen und anderen Obligationen.
Dieses Missverhaeltnis entsprach dem eines hochverschuldeten "3.Welt"-Landes,
das mit der Rueckzahlung des Schuldendienstes kaempft, ohne je die Schuldenlast
verringern zu koennen. Der Krieg in Jugoslawien brach letztlich auch um die
offene Frage aus, wer denn nun die notwendigen neuen Dollar- und DM-Kredite
erhalten sollte und wer fuer die Rueckzahlung der aufgelaufenen Altschulden
haftbar gemacht werden koennte.
Neben den internationalen Schulden existierten auch auf der Ebene
zwischen den Republiken Glaeubiger-Schuldner-Beziehungen. Slowenien verweigerte
seit 1990 das Abfuehren der Zolleinnahmen an die Zentralregierung. Serbien
wiederum betrieb Destruktion am Staatsganzen, als es zur Jahreswende 1990/91
eigenmaechtig die Notenpresse in Rotation versetzte, Dinar fuer umgerechnet 1,8
Mrd. Dollar druckte, um Lehrer, Militaers und sonstige staatliche Angestellte
entlohnen zu koennen. Damit unterlief Belgrad den gesamten, von
Ministerpraesident Ante Markovic mit dem IWF (Internationaler Waehrungsfonds)
ausverhandelten Sanierungsplan. Dieser sah eine von Jeffrey Sachs
ausgearbeitete Schocktherapie vor, mit Lohnfreeze, Geldverknappung,
Subventionsstreichungen fuer Sozialausgaben und allem, was seit ueber zwei
Jahrzehnten zum Instrumentarium westdiktierter Strukturanpassungsprogramme
gehoert. Durch das Einschalten der Notenpresse demonstrierte die serbische
Seite den unbedingten Willen zur Beibehaltung des politischen Primats ueber
oekonomische Prozesse. In den reformwuetigen Monaten der Wendezeit kam diese
Haltung einer Kriegserklaerung an IWF und Weltbank gleich. Der Westen sah darin
dementsprechend auch einen "kommunistischen Akt" und einen "Raubueberfall auf
die Bundeskasse". Seit damals gilt Belgrad als Feind der "freien Welt".
Auch innerhalb Jugoslawiens tobte der Wirtschaftskrieg. Gegenseitige
Einfuhrverbote der Teilrepubliken trieben viele ohnedies bereits maroden
Betriebe in den Ruin. So hatte Serbien als Reaktion auf das Ausbleiben der
slowenischerseits eingehobenen Zollgelder die Einfuhr saemtlicher slowenischer
Produkte verboten, Slowenien erliess ein gleichlautendes Dekret fuer serbische
Waren.
Nach der versuchten Antiinflationspolitik von Praesident Markovic brach
die von westlichen Finanzhilfeorganisationen wie dem IWF und der Weltbank
durchgesetzte Oeffnung der Maerkte wie ein Orkan ueber die jugoslawische
Industrie herein. Innerhalb weniger Wochen zu Beginn des Jahres 1991 wurden
saemtliche Importe aus dem Ausland zoll- und bewilligungsfrei. Die totale
Marktoeffnung hatte verheerende Folgen fuer alle jugoslawischen
Produktionsbetriebe. Dumpingwaren aus Suedostasien und Westeuropa
ueberschwemmten die Geschaefte. Hollaendische Blumen, deutsches Gemuese und
eine Reihe landwirtschaftlicher Billigprodukte aus dem EG-Raum bedrohten die
Substanz der jugoslawischen Landwirtschaft. Der traditionelle Agrarexporteur
musste im Jahre 1990 doppelt soviel landwirtschafltiche Produkte importieren
wie er exportieren konnte. Im industriellen Bereich waren exorbitante
Produktionsrueckgaenge von 30% im Jahr 1990 und 21% im ersten Quartal 1991 die
Folge. Sie fuehrten zu Kuendigungswellen und bereiteten so den Boden fuer eine
andere Verwertung der Arbeitskraft, die kuenftighin nicht mehr in der Fabrik,
sondern am Schlachtfeld stattfinden sollte.
Die Entwicklungsunterschiede innerhalb Jugoslawiens waren dann auch der
Ausloeser dafuer, dass sich die allgemeine wirtschaftliche Krise zu einer
politischen und letztlich zu einer territorialen auswuchs. Slowenien als die
hoechstentwickelte Teilrepublik (5.500 Dollar pro Kopf im Jahre 1990) hatte ein
- pro Kopf gerechnet - acht Mal hoeheres Bruttoinlandsprodukt als der Kosovo
(730 Dollar). Dazwischen lagen Kroatien mit 3.400 Dollar/Kopf und Serbien mit
2.200. Das wirtschaftliche Elend der suedserbischen Provinz Kosovo und die
ebenfalls duestere Lage in Serbien bildeten wesentliche Motive fuer die Flucht
Sloweniens und Kroatiens aus dem Staatsverband. Solidaritaet, so toente es zu
dieser Zeit aus dem sich integrierenden Westeuropa, schuldete man den reichen
Laendern der Europaeischen Gemeinschaft, nicht den oestlichen Armenhaeusern. In
den Augen der Slowenen waren die bevoelkerungsreichen Republiken Kroatien und
Serbien zum Hemmschuh auf dem Weg in Richtung Europa - sprich: der Bruesseler
Union - geworden, auf dem Weg zu Wohlstand und Prosperitaet zumindest fuer die
Oberschicht der 1,9 Millionen Slowenen.
Kroatien serbenfrei
Am 25. Juni 1991 erklaerten Zagreb und Ljubljana, mit Rueckendeckung
Deutschlands und Oesterreichs, einseitig die Unabhaengigkeit ihrer
Teilrepubliken. Der jugoslawische Praesident Markovic, wirtschaftspolitischer
Gegenspieler des serbischen Fuehrers Milosevic, niahm diese Erklaerung nicht
zur Kenntnis und befahl der Volksarmee die Sicherung der Staatsgrenzen. Von
slowenischen Buergerwehren besetzt gehaltene Zollstationen wurden daraufhin
angegriffen. Nach drei Tagen Krieg, in dem die slowenischen Separatisten ueber
1000 jugoslawische Soldaten gefangennahmen, zog sich die Armee in die Kasernen
zurueck. Der deutschen Aussenpolitik schlug die grosse Stunde, die
oesterreichische assistierte. Im Rausch der nationalen Einheit, die erst kurz
zuvor fuenf neue Laender an Bonn angeschlossen hatte, zerschlugen Genscher und
Kohl das multinationale Jugoslawien. Die sezessionistischen Bewegungen wurden
offen unterstuetzt, die Bundesorgane Jugoslawiens vor den Kopf gestossen. So
z.B. als Oesterreichs Aussenminister Alois Mock lange vor der Anerkennung der
slowenischen Unabhaengigkeit den spaeteren slowenischen Aussenminister Rupel
als Mitglied der oesterreichischen KSZE-Delegation nach Berlin einlud. Die
Diskussionen um einen Ausschluss Jugoslawiens aus den internationalen
Organisationen begannen dort.
Ideologisches Kernstueck der jugoslawischen Desintegration bildete die
These vom Selbstbestimmungsrecht der Voelker, die ohne jedes kritische
Hinterfragen als Recht zur Errichtung eines eigenen, ethnisch moeglichst
homogenen Nationalstaates postuliert wurde. Im gesellschaftlichen Milieu des
Balkans, das wusste jeder, der es wissen wollte, konnte diese Zielvorstellung
nur in den Krieg fuehren. Wo 30 und mehr Voelkerschaften auf engstem Raum
miteinander leben, ist die Volkszugehoerigkeit als Argument fuer eine
territoriale Einheit ein Unding. Die einfache Formel von der Anerkennung neuer
Nationalstaaten als Mittel zur Verhinderung von Buergerkrieg in Jugoslawien,
wie sie von CDU bis zu den Gruenen gebetsmuehlenartig wiederholt wurde, hat
sich im Nachhinein als kriegstreiberisch erwiesen. Ohne dass daraus allerdings
bisher irgendwelche Konsequenzen gezogen wurden.
Zudem haben Regierungen und Oppositionen in deutschen Landen von Anfang
an gute und schlechte Nationalismen auseinanderdividiert. Serbisch wurde dabei
von deutschen Medien und Politikern durchwegs mit denunziatorischen Adjektiven
belegt, waehrend slowenisch, kroatisch und - spaeter - bosnisch einen
sympathischen Klang erhielten. Zur Zeit der Abtrennung Kroatiens gehoerte ja in
der Wahrnehmung Deutschlands Sarajewo noch zum sogenannten "serbischen Block".
Mitte Jaenner 1991 brachte die "Affaire Spegelj" ein wenig Licht in die
dunklen Machenschaften militaerischer Vorbereitungen Kroatiens auf einen
Buergerkrieg. Der Kroate Martin Spegelj, selbsternannter Verteidigungsminister
aus Zagreb, sprach in einem TV-Interview von der unumgaenglichen "Ausrottung"
der Serbenhochburg Knin. Dafuer hatte er sich von der ungarischen Armee 36.000
Maschinengewehre besorgt. Der Journalist, der die freizuegige Rede Spegeljs in
Bild und Ton setzte, verstarb zwei Stunden nach Ausstrahlung des Beitrages.
Angebliche Todesursache: Selbstmord. Belgrad war alarmiert. Und die serbische
Minderheit in Kroatien bekam Angst vor den Sezessionisten aus Zagreb.
Folgerichtig beschloss man in Knin, Pankrac und Umgebung, am 22. Februar 1991
eine "Serbische Autonome Provinz Krajina" auszurufen - ganz nach dem Vorbild
Sloweniens und Kroatiens. Die kroatische "Nationalgarde", die es laut Abkommen
mit den Bundesstellen eigentlich gar nicht mehr haette geben duerfen, sollte in
den serbisch besiedelten Teilen des Landes keine Exekutivgewalt innehaben.
Am 2. Maerz 1991, also noch vor den militaerischen Auseinandersetzungen
um Slowenien, kam es in der Stadt Pankrac zu einer gezielten Provokation
kroatischer Garden gegen die oertliche Polizeistation. Eine kroatische Einheit
wollte die durchwegs serbischen Polizisten der lokalen Station dazu zwingen,
die Ustascha-farbene Schachbrettfahne der damals auch international noch von
niemandem anerkannten "Republik Kroatien" zu hissen. Als sich die Polizisten
weigerten, kamen die ungarischen Armeebestaende zum Einsatz. Die ersten Toten
dieses Krieges waren Serben. Zu schlechterletzt sollte sich Spegeljs Vorhersage
erfuellen: Nach systematischer Aufruestung der kroatischen Armee durch
westliche, insbesondere US-amerikanische Militaers, bombte sich die junge
Republik im Sommer 1995 mittels der Aktionen "Blitz" und "Sturmgewitter"
serbenfrei, 200.000 Menschen fluechteten in die serbisch kontrollierten Gebiete
Bosniens. Zwischen den Ereignissen von Pankrac und dem kroatischen
"Sturmgewitter" hatten jugoslawische Truppen ganze Staedte wie Vukovar in
Schutt und Asche gelegt und die kroatische Bevoelkerung daraus vertrieben.
Titos Kampfgefaehrte, Milovan Djilas, sollte recht behalten. Im Juni
1991 hatte er in der Wiener "Presse" gewarnt: "Die Anerkennung der
Unabhaengigkeit von Slowenien und Kroatien durch Deutschland, Oesterreich oder
andere Staaten wird direkt zu einem Buergerkrieg in Jugoslawien fuehren. Dieser
Krieg wuerde von unvorhersehbarer Dauer sein und koennte, so fuerchte ich,
durch die Intervention internationaler Organisationen oder das Eingreifen der
Grossmaechte nicht gestoppt werden." Die zwei fuer Westeuropa wirtschaftlich
interessantesten Partner - Slowenien und Kroatien - waren nach den Kriegen um
die Krajina und Slawonien ethnisch homogen.
Bosnischer Dreikampf um eine staatliche Fiktion
Die bosnische Tragoedie uebertraf noch die kroatische. Hier war und ist die
ethnische Durchmischung um ein mehrfaches komplizierter. Dennoch setzte die
deutsch/oesterreichichische Aussenpolitik auf dasselbe Krisen"loesungs"muster.
Internationale Hilfe wurde an die Ausrufung der Unabhaengigkeit geknuepft.
Zuvor noch trieb man die bosnische Fuehrung in ein Referendum ueber die
Eigenstaatlichkeit, wohl wissend, dass ein Drittel der Bevoelkerung - die
Serben - dieses Modell strikt ablehnte. Ein lang andauernder, bis heute nicht
wirklich beendeter Buergerkrieg war die Folge.
Anders als in Kroatien, wo die Nationalgarde mit westlicher Hilfe zur
entscheidenen Kampfkraft gebracht wurde, war in Bosnien die Lage weniger
eindeutig. Einen muslimischen Staat in der Mitte Europas wollte die Bruesseler
Union nicht hinnehmen. Zudem standen allerlei Hilfstruppen afghanischer und
iranischer Mudjahedin der bosnischen Fuehrung um Alija Izetbegovic zur Seite.
Waffenlieferungen aus der Tuerkei und dem Iran verstaerkten den westlichen
Unmut. An eine Aufruestung der Bosnier unter diesen politischen Bedingungen war
nicht zu denken. Also entwickelte man einen Interventionsplan, der die NATO -
getarnt als UNO- bzw. SFOR-Truppen und ausgestattet mit wackeligem UN-Mandat -
auf den Balkan brachte. Am 31. Maerz 1993 wurde auf Beschluss der UNO ueber
Bosnien ein Flugverbot verhaengt. Damals begann die Intervention der westlichen
Allianz, die von Russland nicht zuletzt deshalb gebilligt wurde, weil auch
Moskau an einer Muslimherrschaft im Herzen Europas kein Interesse hatte.
Der 28. Februar 1994 sah die ersten Angriffe amerikanischer F-16-Bomber
auf bosnisch-serbische Flugzeuge. Mitte April begann dann der militaerische
Einsatz der NATO in Bosnien; ueber die Konstruktion der "Partnerschaft fuer den
Frieden" nahmen daran auch Soldaten aus Russland, der Ukraine und Oesterreich
teil. Vorerst lag die Einsatzzentrale im ungarischen Kaposvar.
Zu diesem Zeitpunkt stand Belgrad schon laengst unter UN-Emgarbo. Am
27. Maerz 1992 uebertrugen saemtliche TV-Stationen der Welt grauenhafte Bilder
einer Explosion im Zentrum von Sarajevo, bei der 16 Menschen getoetet und viele
weitere verletzt worden waren. In eine fuer Brot Schlange stehende Menge in der
Vase Miskina Strasse schlugen, so der Kommentar zum Film, serbische Granaten
ein; am Boden kriechende Schwerverletzte mit zerfetzten Beinen blieben der Welt
in Erinnerung - als Opfer serbischer Aggression. Drei Tage spaeter, am 30. Mai,
verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat die Resolution 757. Harte Sanktionen
gegen Belgrad waren damit, als unmittelbare Antwort auf den Terror, in die Tat
gesetzt..
Spaeter kamen Zweifel auf, ob es tatsaechlich von serbischen Positionen
abgefeuerte Granaten waren, die das Massaker in der Vase Miskina Strasse
verursacht hatten. Eine Untersuchungskommission der UNO vermisste
beispielsweise die fuer Granatentreffer typischen Einschlaege im Asphalt. Auch
die Tatsache, dass die Strasse eine Woche vor dem moerderischen Zwischenfall
von bosnischen Behoerden gesperrt gehalten wurde, liess Vermutungen, es koennte
sich bei dem Terrorakt um eine gezielte Provokation bosnischer Milizen handeln,
aufkommen - zumal ein bosnisches Fernsehteam an Ort und Stelle war, um die
Schreckensbilder in alle Welt zu senden.
Belgrader Quellen nennen auch eine - spaeter von bosnischen Behoerden
verhaftete - Augenzeugin, die von ihrem Wohnfenster aus gesehen haben wollte,
wie bosnische Polizisten vor dem Anschlag jenen Ast der Strasse abgesperrt
haetten, der in ein moslemisches Viertel der Stadt fuehrt, sodass es
mehrheitlich serbische Buerger aus Sarajevo waren, die um Brot anstanden. Ob
serbische Granaten oder bosnische Bomben blieb letztlich ungeklaert. Das gegen
Belgrad verhaengte Embargo waere jedenfalls bei einer genauen Untersuchung des
Vorfalls nicht argumentierbar gewesen. Trotzdem bestimmte es jahrelang das
Leben von mehr als zehn Millionen Menschen im Rest Jugoslawiens und Zig
weiteren Millionen in Rumaenien, Bulgarien, Makedonien und Ungarn, die mehr als
der Westen Europas oder gar die USA unter der zwangsweisen Einstellung
saemtlicher Wirtschaftsbeziehungen zu Belgrad litten.
Oesterreich und Deutschland steigerten indes ihre ohnehin bereits
revanchistische Politik zu einem rassistischen Furioso. Im Maerz 1993
verfuegten die deutsche Notenbank und die oesterreichische Nationalbank eine
generelle Sperre aller Konten von serbischen und montenegrinischen Inhabern,
die ihren Hauptwohnsitz in Jugoslawien hatten. Die Embargopolitik erfuhr
dadurch eine neue Qualitaet. Jeder serbische Bezieher einer deutschen oder
oesterreichischen Rente, den die betraf es in erster Linie, sollte spueren,
dass er im falschen, weil boesen Teil Jugoslawiens zu Hause ist.
Rentenzahlungen wurden nicht mehr ueberwiesen, auf speziellen Antrag hin
durften serbische Gastarbeiter, die jahrelang in Oesterreich oder Deutschland
gelebt hatten, 600.- DM pro Monat beheben, gleich wie hoch ihre Rente
tatsaechlich war. Die Zerstoerung Jugoslawiens wurde so in die einzelnen
Haushalte getragen.
In den ersten Stunden des 30. August 1995 startete die NATO ihre bis
dahin groesste Militaeraktion am Balkan. Mehr als 60 Kampfflugzeuge griffen
Stellungen bosnischer Serben rund um Sarajewo an. Zwei Tage zuvor hatte ein
angeblich bosnisch-serbischer Artillerieangriff 41 Menschen getoetet. Zwei
Monate spaeter stellte sich heraus, dass das Massaker vom 28. August, das der
NATO die Legitimitaet zum Eingriff lieferte, eine gezielte, fuerchterliche
Provokation der Regierung in Sarajewo war. Britische Experten hatten
herausgefunden, dass die Granaten, die den Balkan in eine weitere Spirale des
Krieges hineinzwangen, von bosnischen Regierungstruppen abgefeuert worden
waren. Franzoesische und russische UN-Fachleute teilten diese Meinung. Immer
wieder war zu jener Zeit - auf den hinteren Seiten der westlichen Medien - von
Provokationen bosnischer Einheiten die Rede, so auch Anfang August 1995, als
der Chef der franzoesischen SFOR/NATO-Truppe bekannt gab, dass seine
Marinesoldaten bosnische Heckenschuetzen ausgehoben hatten, die tagelang
gezielt auf die eigene Bevoelkerung feuerten, um Punkte im Propagandkrieg zu
sammeln. Der franzoesische General wurde bald darauf von seinem Posten in
Sarajewo zurueckbeordert. Izetbegovic gewann, mit Hilfe der amerikanischen
p.r.-Agentur Ruder Finn, die Propagandaschlacht. Die USA konnten sich
militaerisch als Sieger fuehlen.
Der Dayton-Vertrag vom 21. November 1995 besiegelte die Teilung
Bosniens. Er war von Kampfjets der USA herbeigebombt worden, die letztlich
gezielte Provokationen aus den Reihen der bosnischen Gruenen Barette zum Anlass
nahmen, um die serbische Seite in die Knie zu zwingen. Freilich lag den
Westalliierten auch daran, die politische Macht Sarajewos zu beschneiden, was -
folgt man der totalen Absenz der bosnischen Fuehrung in den westlichen Medien -
auch gelungen scheint.
Naechster Akt: Die Zerstoerung Serbiens
Nun soll Belgrad endgueltig in die Knie gezwungen werden. Als einziges Land am
Balkan, dessen Regierung sich dem IWF- und NATO-Diktaten bislang nicht zu
beugen gewillt war, bekommt Jugoslawien die volle Gewalt der abendlaendischen
Wertegemeinschaft zu spueren. Da kommen die rebellischen Albaner im Kosovo mit
ihren verzweifelten Hilferufen an die NATO gerade recht. Schon mehrere Male in
diesem Jahrhundert hatten sich albanische Freiheitskaempfer an Wien, Rom,
London oder Berlin um Hilfe gewandt, um osmanische oder serbische Bedrueckungen
abzuschuetteln. Und jedesmal kam monarchischer oder faschistischer Entsatz, der
die Aufforderung zur Hilfe als Initialzuendung fuer die Erweiterung des eigenen
Machtbereichs begriff. Die albanische Frage brachte das westliche Imperium
regelmaessig, wenn auch bislang nur kurzfristig, in die Offensive.
Die dem Voelkerrecht und selbst dem NATO-Statut, wonach nur ein um
Hilfe rufendes Mitgliedsland militaerischen Entsatz verdiene, widersprechenden
Luftangriffe der nordatlantischen Allianz auf das souveraene Jugoslawien bilden
den vorlaeufigen Hoehepunkt einer westlichen Destabilisierungspolitik auf dem
Balkan. Medial wird diese von der staendischen Schuldzuweisung an "die Serben"
oder an "Praesident Milosevic" begleitet. Wenn die Politik Belgrads auch einen
gehoerigen Anteil an der Zerschlagung Jugoslawiens hat, die Ausloeser dieser
Tragoedie sitzen in Zagreb, Ljubljana und Sarajewo, die Strategen in
Bonn/Berlin und Washington. Waehrend sich Bonn/Berlin von der Zerstueckelung
des Vielvoelkerstaates die Teilnahme der Filetstuecke an der westeuropaeischen
Integration versprach, duerften die Motive der USA, die ja bis Sommer 1991 im
Gegensatz zu Deutschland an der Einheit Jugoslawien festhalten wollte,
geopolitischer Natur sein. Der Balkan, so liess man sich nach und nach im
Pentagon und auf dem amerikanischen Capitol ueberzeugen, ist als
Aufmarschgebiet gegen zukuenftige slawische Unruheherde bestens geeignet.
Insbesondere laesst sich von hier aus das Schwarze Meer und damit die Ukraine
und Russland auch vom Suedwesten aus erreichen.
Ein oekonomischer Effekt der Zerstoerung Jugoslawiens bleibt fuer den
Westen dies- und jenseits des Atlantiks auf jeden Fall: Der Wiederaufbau
devastierter Landstriche von Kroatien ueber Bosnien bis Serbien bringt fette
Auftraege. Und mit den nun durch NATO-Angriffe in Schutt und Asche gelgten
Fabriken in Serbien - unter anderem das Zastava-Autowerk, die
Utva-Flugzeugfabrik, pharmazeutische und Lebensmittel produzierende Betriebe -
hat man sich auch laestiger Konkurrenten entledigt.
Eine zweite moegliche Strategie der US-gefuehrten NATO-Schlaege koennte
sich auch indirekt gegen Westeuropa wenden. Wirtschaftliche Kleinkriege
zwischen Bruessel und Washington sind ja bereits auf der Tagesordung. Die
Euro-schwangere EU stellt zudem einen nicht ausmachbaren Konkurrenten fuer
US-Amerika dar. NATO-Schlaege zur Destabilisierung der EU-Raender verursachen
langfristig politische Kosten auf dem Kontinent. Nach dem direkten Eingriff der
NATO werden nationalistische Bewegungen ueber Jahre die Kultur am Balkan
bestimmen. EU-Europa ist in der Folge mit einem Problem beschaeftigt, das man
sich eigentlich vom Hals schaffen wollte: die Ethnisierung sozialer Probleme an
der Peripherie. Wer alles den Preis fuer diese Politik bezahlen wird, steht
noch nicht fest. Die Albaner auf jeden Fall. Sie gehoeren zu den groessten
Opfer der jugoslawischen Katastrophe.
(ENDE)
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